Zu einem gemeinsamen Europa gibt es keine Alternative

Wenn der Name Robert Schumann fällt, denkt fast jeder zuerst an den berühmten Komponisten der Romantik und im inneren Ohr erklingt im Zweifel die “Träumerei” aus den Kinderszenen. Ein gutes dreiviertel Jahrhundert später aber wurde unter dem gleichen Namen in Luxemburg ein Politiker geboren, ohne dessen tatkräftiges Wirken ein gemeinsames Europa (wenn überhaupt) erst wesentlich später entstanden wäre. Denn als Robert Schumann nach dem Zweiten Weltkrieg französischer Außenminister wurde, lag der Kontinent nach jahrelangem Krieg gegeneinander in weiten Teilen in Scherben.

Das Kernstück der späteren Union: die deutsch-französische Freundschaft

In der Menschheitsgeschichte gibt es nur wenige Beispiele dauerhafter Feindschaft zwischen zwei benachbarten Nationen wie dies über Jahrhunderte zwischen Deutschland und Frankreich der Fall war. Zwischen dem Vertrag von Verdun aus dem Jahre 843, in welchem die endgültige Aufspaltung zwischen West- und Ostrfanken vorgenommen worden war und den tausenden Toten, welche nahe dieser Stadt im Ersten Weltkrieg den erbitterten Grabenkämpfen zum Opfer fielen liegt mehr als ein Jahrtausend wechselhafter Geschichte. Eine Aussöhnung unter den Erbfeinden schien eine Sache der Unmöglichkeit. Nicht zuletzt die fünfjährige Besetzung weiter Teile Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht hatte bis in jüngste Vergangenheit schmerzhafte Spuren hinterlassen. Gleichwohl wollte es das Schicksal, dass gerade in dieser Phase mit Charles de Gaulle und Konrad Adenauer die richtigen Männer in Frankreich wie auch in Deutschland an der Spitze standen. Gerade letzterem war eine Einbindung Deutschlands im Westen und vor allem eine intensive Zusammenarbeit mit Ländern katholischer Prägung eine Herzensangelegenheit.

Der Weg zu den Römischen Verträgen

Zwischen 1948 und 1952 fungierte Robert Schumann in einer wechselvollen politischen Phase Frankreichs in insgesamt acht Regierungen als Außenminister. Kernstück seiner Politik war in dieser Zeit der nach ihm benannte Schumann Plan. Dieser sah eine Zusammenfassung der Verwaltung der französischen und deutschen Montanindustrie vor. So entstand 1952 mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (oder auch Montanunion) der erste Vorläufer der Europäischen Union. Beteiligt waren neben Deutschland und Frankreich Belgien, die Niederlande, Luxemburg sowie Italien. Fünf Jahre später verfestigten diese Staaten in ihre Zusammenarbeit in den Römischen Verträgen, welche neben der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) außerdem die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) sowie die Schaffung gemeinsamer gesamteuropäischer Gremien vorsahen. Hieraus entstanden später das Europäische Parlament sowie der Europäische Gerichtshof in Straßburg.

Die Gemeinschaft wächst

In den Jahren nach Abschluss der Römischen Verträge schloss die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft eine Reihe von Assoziierungsabkommen und erweiterte so ihren Einflussbereich. Zu neuen Beitritten kam es schließlich im Jahr 1973 als Groß Britannien, Dänemark und Irland der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitraten. Ihnen folgten Griechenland im Jahr 1981 sowie Spanien und Portugal 1986. Die Gemeinschaft umfasste damit insgesamt zwölf Staaten in denen mehr als 300 Millionen Menschen lebten. Auf dieser Grundlage wurden nun die Verhandlungen zu einer stärkeren Integration der einzelnen Mitgliedsländer begonnen. Diese mündeten 1992 im Vertrag von Maastricht. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wurde in diesem Zuge zur Europäischen Gemeinschaft und damit zu einer der drei Säulen der Europäischen Union. Die zweite Säule bildete dabei eine verstärkte polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit während es sich bei der dritten Säule um eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik handelte. Vor allem aber wurden die Grundlagen für eine Wirtschafts- und Währungsunion gelegt. Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrags traten 1995 die bisherigen EFTA-Staaten (European Free Trade Associaton) Österreich, Finnland und Schweden der Europäischen Union bei. Lediglich Norwegen entschied sich in einem Volksentscheid gegen den Beitritt.

Erweiterung nach Osteuropa und der Euro

Die politischen Umwälzungen durch den Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Osteuropa führten in den Neunzigerjahren zu weiteren Verhandlungen mit beitrittswilligen Staaten. Dabei wurde sich für eine behutsame Heranführung der neuen Mitgliedsländer entschieden. Denn es mussten in diesen Staaten zunächst die notwendigen rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden, die für eine Aufnahme in die Europäische Union unabdingbar waren. 2004 war es schließlich soweit und die Union hatte mit Tschechien, der Slowakei, Polen, Lettland, Estland, Litauen, Ungarn, Slowenien sowie Zypern und Malta gleich zehn neue Mitglieder. Ihnen folgten 2007 Rumänien und Bulgarien wodurch die Europäische Union auf mehr als eine halbe Milliarde Menschen anwuchs. 2013 wurde dann Kroatien der 28. Mitgliedsstaat der Union.

Parallel hierzu wurde im Laufe der Neunzigerjahre daran gearbeitet, einen gemeinsamen Währungsraum zu schaffen. Da nicht alle Mitgliedsstaaten an diesem Projekt teilnehmen wollten, entstand mit der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion eine Union innerhalb der Union welcher heute 19 von insgesamt 28 Mitgliedsstaaten angehören. Eingeführt wurde der Euro 1999 zunächst als Recheneinheit. Im zweiten Schritt ersetzte er dann 2002 auch das nationale Bargeld in den einzelnen Mitgliedsländern. Die Kontrolle über den Euro erhielt die neu gegründete Europäische Zentralbank welche ihren Sitz in Frankfurt am Main hat.

Einzelinteressen nehmen zu

Da über die letzten Jahrzehnte immer mehr Staaten erst in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und später in die Europäische Union aufgenommen wurden, wurde naturgemäß auch das Finden von notwendigen Kompromissen immer schwieriger. Unter den großen Staaten Europas war es vor allem Groß Britannien, dass seiner Skepsis gegenüber einem zu starken Zusammenwachsen des Kontinents oft und deutlich Ausdruck verlieh. Doch auch sonst war gerade die Erweiterung der Union in Richtung Osteuropa für viele Mitgliedsländer ein heikles Thema. Staaten wie Irland, die jahrelang von der wirtschaftlichen Förderung durch die EU profitiert hatten, befürchteten ein Absinken der auf sie abfallenden Hilfen, wenn Ländern wie Rumänien und Bulgarien aufgenommen würden. Bei einer Volksbefragung zum Vertrag von Lissabon sprach sich daher 2008 eine Mehrheit der Iren gegen eine stärkere Zusammenarbeit Europas aus. Erst nach einem zweiten positiven Referendum ein Jahr später konnte der Vertrag schließlich ratifiziert werden.

An Brisanz gewannen diese Abstimmungen nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass im Jahr 2008 die Finanzkrise auch in Irland ihre Spuren hinterließ. Vor allem aber der Süden Europas geriet im Zuge der Finanzkrise in eine wirtschaftliche Schieflage. Die positive ökonomische Entwicklung, die mit der stärkeren Integration gerade in Spanien, Portugal und Griechenland einherging, wurde von vielen in ihrer nachhaltigen Wirkung weit überschätzt. Entsprechend lebte man in diesen Ländern über einige Jahre weit über die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus. Die spanische Immobilienblase etwa wäre ohne den Beitritt Spaniens zur Europäischen Union vermutlich nicht entstanden. Ein weiteres Problem stellt für viele westliche Staaten die Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union auch für rumänische und bulgarische Staatsangehörige dar. Hier wird das Schreckensbild einer “Einwanderung in die Sozialsysteme” an die Wand gemalt.

Europa braucht vor allem überzeugte Europäer

Einige der geschilderten Krisen halten weite Teile der Europäischen Union weiterhin fest im Griff. Vor allem in Griechenland hat sich die Lage in den letzten Jahren immmer weiter zugespitzt. Das Land verfügt weder über eine nennenswerte Industrie jenseits des Tourismus noch über eine effiziente öffentliche Verwaltung. Durch die Einführung des Euros auch in Griechenland wurden diese seit langem existierenden Probleme weiter verschärft. Überhaupt nimmt Griechenland innerhalb der Union eine Sonderrolle ein. Erste Verhandlungen über einen Beitritt zur EWG fanden bereits Anfang der Sechzigerjahre statt. Die Machtübernahme durch die Militärjunta führte zu einer Vertagung der Gespräche bis Mitte der Siebziger und eine Verschiebung des Beitritts bis 1981. Auch bei den Maastricht-Kriterien wurde bei Griechenland in vielerlei Hinsicht nicht genau genug geprüft, ob ein Beitritt zum Euro für das Land wirklich einen Sinn machte. Aufgrund der Rettungspakete sind die Probleme Griechenlands inzwischen ein Problem des ganzen Kontinents geworden. Entsprechend lauter werden die Stimmen derjenigen, die sich schon immer gegen ein zu starkes Zusammenwachsen Europas ausgesprochen hatten.

Selbstverständlich ist vieles von dem, was in der Europäischen Union geschieht kritikwürdig. Und es gehört zu einem demokratischen Miteinander diese Kritik auch offen auszusprechen. Vielfach geht darüber allerdings verloren, was die europäische Idee eigentlich bedeutet. Siebzig Jahre Frieden in der Mitte des Kontinents sind alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Der Erhalt dieses inneren Friedens hat in der Vergangenheit viel Mühe gekostet. In diesem Artikel konnten nur die wesentlichen Wegmarken hin zur Europäischen Union ansatzweise nachgezeichnet werden. Es wurde jedoch um eine Vielzahl weiterer Fragen gerungen und es gab in den letzten siebzig Jahren keine Phase, in der nicht das eine oder andere europäische Problem auf der politischen Tagesordnung stand. Dies ist anstrengend nicht nur für die Politiker sondern auch für die Bürger der Union, die als Souverän den weiteren Weg Europas weiter bestimmen. Dabei geht es vornehmlich um wirtschaftliche Fragen und damit nicht zuletzt auch um das Geld von Steuerzahlern. Sollte demnächst mit TTIP ein noch größerer gemeinsamer Markt entstehen, werden sich die politischen Probleme weiter vervielfältigen. Für einige lautet die Lösung, wieder mehr auch die nationalstaatliche Regelung der eigenen Angelegenheiten zu setzen, weil diese Vorgehensweise oftmals schnellere Resultate nach sich zieht. Die Auseinandersetzung mit Griechenland aber zeigt, dass eine Besinnung auf die eigene Nation so gut wie immer mit einer Distanzierung von anderen Ländern einher geht. Die Nazi-Darstellungen von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble in der griechischen Presse sind hierfür ein warnendes Beispiel. Das Problem der Europäischen Union ist, dass ihre Probleme regelmäßig breit diskutiert werden, ihre Erfolge aber eher unspektakulärer Natur sind und mehr oder minder als Selbstverständlichkeit angesehen werden. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte in der Gesamtbetrachtung war für die Europäer eine große Erfolgsgeschichte. Diese wäre ohne friedliche Zusammenarbeit nicht geschrieben worden. Es konnten in vielen Ländern Europas mehrere Generationen aufwachsen, die nicht durch Krieg, Hunger und Vertreibung dezimiert wurden. Selbst die Wehrpflicht konnte in Deutschland ausgesetzt werden. Insofern dient die Einigkeit Europas nicht primär der Wirtschaft sondern den Menschen, die in ihrem Kontinent friedlich miteinander leben können. Für den Erhalt dieses Friedens lohnt es sich, auch in Zukunft den steinigen Weg der Kompromisssusche zwischen den Einzelstaaten zu gehen. Egal, was es kostet.